Joh 1,1 ist einer der bekanntesten Verse des NT: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“ (EÜ 2016). Sollte es Übersetzungsprobleme ausgerechnet bei diesem Vers geben?? Bei einem Vergleich gängiger Übersetzungen ist davon zunächst nichts zu sehen.
Allerdings gönnt sich die Elberfelder Übersetzung eine Fussnote zur Erklärung dessen, was mit „Wort“ übersetzt wird. Dort heißt es: „griech. logos; das griech. Wort bedeutet auch Rede, Grund, Gedanke, Denkvermögen.“ Hier wird das Denkvermögen des Lesers, der Leserin angeregt und in der Zürcher Übersetzung in der Revision 2007 findet man dann nicht nur einen eigenartig veränderten Text („Im Anfang war das Wort, der Logos,[1] und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos.“), sondern ebenfalls eine Fussnote, die zeigt, wie unwohl und unsicher die Übersetzer mit dem traditionellen Übersetzung „Wort“ waren: „Für die Wendung „das Wort, der Logos“ steht im griechischen Text nur der Begriff ‚logos‘. Die Übersetzung gibt den griechischen Begriff doppelt wieder, um anzudeuten, dass dieser zwar ‚Wort‘ heissen, aber auch eine umfassende, bis ins Kosmologische reichende Bedeutung annehmen kann.„
Vor dem Hintergrund wird dann verständlicher, warum die Bibel in gerechter Sprache mit der Tradition völlig bricht und in der Übersetzung von logos einen völlig neuen Ansatz wählt: „Am Anfang war die °Weisheit und die Weisheit war bei °Gott und die Weisheit war wie Gott.“
Und auch das Open Source Projekt „Volxbibel“, dieser immerwährende Versuch, die Sprache des NT jugendgemäß zu halten, hat inzwischen mit der Tradition logos = Wort gebrochen, und etwas ganz Neues versucht:
„Ein Code war es, mit dem alles begann. Ein ganz spezieller Code, der Leben erschaffen kann. Dieser Code kam von Gott, ja Gott selbst hat ihn gesagt. Er hat alles gemacht. Genauso andersrum und wie man’s auch dreht, Gott machte alles, was da geht und steht. Es gibt nichts, was ohne diesen Code entstand – Gott selbst hat alles in seiner Hand. 4-5 Im Code war das Leben und das Leben war Licht, das für die Menschen leuchtet und die Finsternis bricht. Das Licht ist so hell, dass die Dunkelheit scheitert, nicht nur visuell – Gott ist unser Begleiter.“
Die Probleme einer adäquaten Übersetzung von Joh 1,1 haben eine lange Geschichte. In den ersten lateinischen Übersetzungen des griechischen NT wurde logos in Joh 1,1 mit sermo wiedergegeben, also Gespräch, Unterredung. Im lateinischen Standardtext der Vulgata änderte sich dies dann hin zur Übersetzung von logos mit verbum, also „Wort“. Es war Erasmus von Rotterdam, der bei seiner kritischen Neuausgabe der Vulgata im 16. Jahrhundert die alte Tradition einer Übersetzung von logos mit sermo wieder aufnahm, und damit einen mittleren Skandal auslöste. Thomas Schmid schreibt dazu:
"Auf ein, wie ich finde, sehr interessantes Detail will ich genauer eingehen, auf einen Verbesserungsvorschlag des Erasmus, der sich leider nicht durchgesetzt hat. Er betrifft den Anfang des Evangeliums nach Johannes. Sie kennen es alle: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Auf Lateinisch: „In principio erat verbum, et verbum erat apud deum, et deus erat verbum.“ So steht es auch in Erasmus’ erster Auflage von 1516. In der zweiten von 1519, die er zur Tradition zurückkehrend wieder Novum Testamentum nannte, nahm er jedoch eine kleine, aber entscheidende Veränderung vor. Sie betrifft die Vokabel verbum. Die philologische Arbeit brachte ihn dazu. Es sei nicht zwingend, argumentierte er, das griechische Wort lógos mit verbum zu übersetzen. Denn verbum bezeichne vor allem das einzelne Wort – es sei aber mehr gemeint im Neuen Testament. Lógos habe verschiedene Bedeutungen, etwa: oratio, sermo, ratio oder modus. Erasmus entschied sich für sermo, und bezog sich damit unter anderem auf Cyprian von Karthago, der im dritten Jahrhundert nach Christus den Sohn Gottes als sermo patris bezeichnet hatte. Sermo: Das bedeutet viel mehr als das gesetzte, dialoglose Wort. Nämlich: Wechselrede, Unterhaltung, Unterredung, Gespräch, Disputation, Predigt, ja sogar Gerede und Klatsch. Nun hieß es: „In principio erat sermo, & sermo erat apud deum, & deus erat ille sermo.“ Also: „Im Anfang war das Gespräch, und das Gespräch war bei Gott, und Gott war dieses Gespräch.“ Man stelle sich vor, diese Übersetzung hätte sich durchgesetzt. Wechselrede, Gespräch, Disputation: Es wäre eine Wendung des Verhältnisses der Menschen zu Gott ins Dialogische gewesen – was für eine Öffnung! Das Diesseits und das Jenseits wären auf viel innigere Weise miteinander verbunden, ineinander verflochten gewesen. (...) Es wäre, wenn man so sagen kann, ein freundlicherer Glaube geworden. Auch einer, der sich mit dem Fortschritt der Technik, der Künste, der Wissenschaften und der Aufklärung wohl besser vertragen hätte. Stünde am Anfang das Gespräch und nicht das Wort, das unverrückbare Machtwort gewissermaßen, dann hätte der Weg in die Neuzeit vielleicht nicht ganz so gewaltsam ausfallen müssen." Thomas Schmid, Am Anfang war das Gespräch. Über Erasmus von Rotterdam, die Einheit der Christen und die Einigung Europas