Die Bibel liefert keine Nachrichten, sie erzählt Geschichten. Denn es geht in der Bibel nicht um historische Fakten, sondern um religiöse Erfahrungen.
Diese Erfahrungen mit einem Gott, der oft ganz und gar anders ist, als wir Menschen ihn uns vorstellen können, sind das eigentliche historische Faktum der Bibel.
Die Bibel ist ein Buch geschrieben von Menschen, welches Erfahrungen mit Gott in menschlich fassbaren Bildern, Worten und Vorstellungsmustern festhält – und daran ständig auch scheitert.
Die Bibel insgesamt ist Heilige Schrift. Der einzelne biblische Text ist nicht immer heilig. Die Bibel ist ein riesiges Bild, bestehend aus vielen, vielen einzelnen Bildern; sie ist eher kunstvolle Collage als eine Sammlung von Gottesnachrichten.
Das Alte Testament ist eine Gottesbildstreitgeschichte: Wer ist diese Stimme aus der Wüste, was für ein Gott ist dieser und was bedeutet Beziehung zu/Bund mit diesem Gott für uns? Im Neuen Testament tritt jemand auf, der den Streit entscheiden kann und will, indem er spricht und uns sprechen lässt: Abba, Väterchen.
Die Fragen nach der Haltung von Gott zur tötenden Gewalt und nach unserer Haltung zum Mittel tötender Gewalt, durchziehen das gesamte AT. Sehr unterschiedlich, widersprechend und wider-sprüchlich sind die Antworten auf diese Fragen, sehr heftig ist der Streit um diese Fragen.
Es gibt im AT vielfältige Rede über Gott in damals kulturell üblichen Bildern und Sprachmustern: patriarchalisch und gewalttätig. Es gibt daneben – dagegen – aber auch eine andere Gottesrede: ein Gott wird erkennbar, der ganz anders ist als die sonstigen Götter, Herrscher und Herren dieser Welt. Ein Gott gewaltlosen Friedens wird sichtbar, der „hasst die Schenkel der Krieger“ und der die Kriegswaffen zerbricht. Beginnend mit Gen 1 wird im Alten Testament der „Mythos der erlösenden Gewalt“ immer wieder enttarnt und Gegenbilder, Hoffnungsgeschichten werden entworfen und erzählt.
In diese Kette von Hoffnungsgeschichten und Kontrasterfahrungen stellt sich Jesus; von diesem Gott des Friedens spricht er, als er auf dem Berg das Wort ergreift: „Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen“ (Mt 5,9). Wir dürfen, wir sollen uns mit Jesus in diese Entdeckungsgeschichte eines gewaltfreien Gottes hineinstellen.
Die Botschaft der Bergpredigt lautet: Nicht die Gewalt erlöst, sondern allein die aktive Liebe, die aktive Gewaltfreiheit. Sie ist das Zeichen Gottes, der selbst die Liebe ist. Dort, wo die Bibel davon spricht, treibt sie Christus, wird sie wirklich zur heiligen Schrift.
Übt nicht selbst Vergeltung, Geliebte, sondern lasst Raum für das Zorngericht Gottes; denn es steht geschrieben: Mein ist die Vergeltung, ich werde vergelten, spricht der Herr. Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute! (aus Röm 12). apl. Prof. Dr. Thomas Nauerth, 2019