Bibeltexte – fachwissenschaftlich analysiert

Allgemein Bibel analysieren

Einige Anregungen für ein strukturiertes Vorgehen

Zuvor: Was man nie machen sollte!
Sekundärliteratur zum Bibeltext als Einstieg lesen oder zum Bibeltext im Internet surfen –
und dann im Text nur finden, was andere bereits gefunden haben.
Das verstellt den eigenen Blick und behindert die Entdeckerfreude.

Schritt 1: Den Text beobachten

  • lesen, laut lesen, noch einmal lesen
  • Beobachtungen, spontane Assoziationen notieren
  • Übersetzungen vergleichen
    (Einheitsübersetzung; Luther; Elberfelder Bibel; Zürcher Bibel; Buber/Rosenzweig; Stier; Münchener NT): Vergleich von Wortschatz, Satzverbindung und Syntax. Dann: Entscheidung für eine Übersetzung bzw. Korrektur einer Übersetzung
  • Spannungsverlauf wahrnehmen, nachzeichnen
  • Wie ist der Text aufgebaut (Einschnitte, Sinnschritte und ihr Zusammenhang, die Sinnbewegung)?
  • Stehen Anfang und Ende in Beziehung?
  • Fallen Leitwörter oder Signalwörter auf?
  • Welche Figuren und welche Rollen für die Figuren gibt es?
  • Welcher Handlungsraum (aus Ort und Zeit) wird aufgebaut?
  • Achten Sie auf Begriffe, Bilder/Metaphern und deren Zusammenhang.
  • Wie verhält sich der Text zu seinen engeren Nachbarn?
  • Wie steht der Text in der Bibel (im AT, im NT und in der zwei-einen Bibel)?

Schritt 2: Mit dem Text spielen

  • Verändern Sie den Text, um sich der Funktion von Form, Figuren, Bildern etc. bewusst zu werden!
  • Mehr Figurenrede, weniger Figurenrede – was ändert sich?
  • Lassen sich Stücke aus dem Text herausnehmen? Was verändert sich?
  • Ändern sie doch einmal die Reihenfolge der Textteile!
  • Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Teil der Textwelt: Versetzen Sie sich in eine Figur hinein oder nehmen sie die Rolle eines Zuschauers im Geschehen ein. Berichten, erzählen Sie aus dieser Position neu.
  • Achten Sie auch darauf, was NICHT erzählt wird und welche Gründe es dafür geben könnte (Leerstellen des Textes).
  • Jetzt: Auch Sekundärliteratur lesen. Was haben andere gesehen und wo hilft es mir weiter? Unterschiedliche Auslegungen schärfen den Blick für den Text und seine Sinnmöglichkeiten. Die Wirkungsgeschichte des Textes hält oft viele Anregungen und Anschlussmöglichkeiten an eigene Erfahrungen bereit.
  • Mit Hilfe der Sekundärliteratur Sachfragen (schwierige Begriffe; Realien wie Ortsangaben oder Namen) klären
  • Historische Hintergründe der Textentstehung und des im Text Behandelten klären (soweit es historische Hintergründe gesichert gibt!).

Schritt 3: Den Text verstehen

  • Die wichtigsten Entdeckungen zum Text zusammenfassen
  • Welcher Slogan verbindet sich jetzt für Sie mit dem Text?
  • Welche Überschrift würden Sie dem Text jetzt geben?
  • Warum erzählt jemand diese Geschichte, diesen Text auf diese Weise an diesem literarischen Ort?
  • Was kann ich aus der Beschäftigung mit dem Text lernen, was habe ich gelernt?
  • Was kann ich, was möchte ich mittels dieses Textes an andere weitergeben?

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Anmerkungen zu den genannten und zu weiteren verbreiteten Bibelübersetzungen:

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 1980. Revidierte Fassung 2016
einheitlicher Bibeltext für alle katholischen Diözesen des  deutschsprachigen Raums. Psalmen und Neues Testament sind darüber hinaus ein ökumenisch verantworteter Text. Offizieller Bibeltext
der katholischen Kirche für Gottesdienst, Unterricht und Seelsorge.
Gehobenes Gegenwartsdeutsch, Verständlichkeit und Lesbarkeit als Ziel, Fußnoten, teils zur Textüberlieferung, teils zum Textverständnis. AT mit deuterokanonischen Schriften. In vielen Ausgaben mit unterschiedlichen Aufmachungen erhältlich
Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Revidierte Fassung, Stuttgart 2017
z.t. altertümlicher Stil (Luthersprache), gemildert durch verschiedene vorherige Revision und jetzt wieder etwas restauriert. Partiell relativ wörtlich, an anderen Stellen freie Wiedergabe des Sinnes. Offizieller Text der Evangelischen Kirche in Deutschland für Gottesdienst und Unterricht. Fußnoten mit Angaben zur Textüberlieferung
und Anführung des ursprünglichen Lutherwortlauts. AT inklusive deuterokanonische/ apokryphe Schriften.
Elberfelder Bibel Revidierte Fassung, Wuppertal 2006
philologisch genaue Übersetzung, die möglichst gleiche Übersetzung derselben Wörter, d.h. die Übersetzung ist eingeschränkt begriffskonkordant, mit Fußnoten zur Textüberlieferung mit
alternativen Übersetzungsmöglichkeiten und ausführlichen Verweisstellen. AT ohne deuterokanonische Schriften, daher als Arbeitsbibel (Übersetzungsvergleich!) gut geeignet, aber nicht als Ersatz für die Einheitsübersetzung
Zürcher Bibel. Neue Übersetzung, Zürich 2007 2006
philologisch genaue Übersetzung, aber sprachlich flüssige Übersetzung; im Sprachstil schlicht, klarer als die Einheitsübersetzung und weniger traditionslastig als die Lutherbibel. Offizieller Text der Evangelisch-reformierten Landeskirche Zürich („Zwinglianer“). Gute Zweit- und Arbeitsbibel. Im AT ohne die deuterokanonischen Bücher
Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber, gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Neu bearbeitete Ausgabe in 4 Bänden, Gütersloh 1997 u.ö.
wörtliche Übersetzung in engster Nähe zum hebräischen Text. Verzicht auf glättende Füllwörter. Extrem »konkordante« Übersetzungsmethode, Gliederung in »Atemeinheiten« (im Druck: Sinnzeilen), in den neueren Ausgaben auch mit Versziffern, hebräische Namensformen. AT ohne deuterokanonische Schriften (= jüdischer Kanon in der entsprechenden Anordnung der Schriften)
Das Neue Testament, übersetzt von Fridolin Stier. Aus dem Nachlass herausgegeben von Eleonore Beck, Gabriele Miller und Eugen Sitarz, München, Düsseldorf 1989
NT, wörtliche und sprachlich dennoch elegante Übersetzung, konsequent begriffskonkordant,
versucht den Sprachduktus des griechischen Originals nachzuformen.
Münchener NT
Münchener Neues Testament. Studienübersetzung, erarbeitet vom »Collegium Biblicum, München e.V.«, herausgegeben von Josef Hainz. Patmos Verlag, Düsseldorf 1988.
Das Neue Testament in extrem wörtlicher Übersetzung, die sich eng an die griechischen Sprachformen anschließt; notwendige Hinzufügungen in runden Klammern, keinerlei Zugaben zum Bibeltext, keine Überschriften. Übersetzung für Studium und Bibelarbeit.
Gute Nachricht. Bibel. Revidierte Fassung der „Bibel in heutigem Deutsch“, Stuttgart 1997
eine Übersetzung, die nicht wörtlich, sondern unmittelbar verständlich sein will (sog. „kommunikative Übersetzung“) und daher recht frei mit der Vorlage umgeht; für genaue Textarbeit nicht geeignet, aber oft sehr hilfreich zur Erschließung des Sinnes und für Zielgruppen, die
durch die übliche Bibelsprache abgeschreckt werden; in ökumenischer Zusammenarbeit entstanden. Ausgaben mit und ohne „Spätschriften des Alten Testaments“ verfügbar
Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006
eine ungewöhnliche und heftig umstrittene Übersetzung, die geschlechtergerecht, sozial gerecht und fair gegenüber dem Judentums sein will; geht auf eine Initiative aus den evangelischen Kirchen hervor; die Übersetzung macht auf viele Eigenheiten des Urtextes aufmerksam (hebt z.B. den Gottesnamen in besonderer Weise hervor). Eine „Drittbibel“ für den Schreibtisch, die in besonderer Weise für den Text sensibilisieren kann, entfernt sich aber oft sehr weit von der Vorlage und trägt Interpretationen in den Text ein.
Projektgruppe „Bibel und Didaktik“ StR Nicole Baumeister/PD Dr. Thomas Nauerth/Prof. Dr. Georg Steins Universität Osnabrück Institut für Kath. Theologie WS 2010/2011