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Hebron – oder das Ärgernis eines friedlichen Gottesbildes

Thomas Nauerth

(aus: Katechetische Blätter 119 (10/1994) 704-705)

„Es ist das schlimmste Massaker, seit Israel das Westjordanland und Gaza besetzt hat. Und zudem entweiht die Tat einen der wich­tigsten Orte religiöser Toleranz und Koexistenz im Nahen Osten. Für Moslems und Juden gilt Abrahams Grabstätte in Hebron als Hei­ligtum. Es wurde (…) von beiden Religionsgemeinschaften zum Ge­bet benutzt.“ (STERN (10/1994/22).

Grund genug also, diese Tat nicht ganz so schnell zu vergessen und über die Hintergründe in­tensiv nachzudenken. Die ganze teuflische Logik und dämonische Ge­nialität des entsetzlichen Massenmordes im Februar dieses Jahres wird erst sichtbar, wenn nach den Ge­schichten gefragt wird, die an dieser Grabstätte erinnert werden. Es sind die Abra­hamgeschichten der Genesis. Drei unterschiedliche Prägungen der Abrahamfigur, sonst vielfach übersehen oder in ihrer Bedeutung un­terschätzt, fallen vor dem Hintergrund des Massa­kers besonders ins Auge. Die Frage, ob nicht – bewußt oder unbewußt – das hinter diesen Prägungen der Abrahamfigur durchscheinende Got­tesbild den Anstoß für die Wahl des Ortes oder sogar den eigentlichen Zielpunkt des Attentats bildet, drängt sich auf.

Abraham, der exemplarisch Friedfertige

Bei den „Eichen von Mamre in Hebron“ (13,18) endet ein bemerkenswerter Wegabschnitt Abrahams. Schwerbeladen waren Abraham und Lot von Ägypten herauf­gezogen (13,2-5), und der Lauf der Welt ließ nicht lange auf sich warten: Das Land ist zu klein für beide (13,6), und es kommt zum Streit der Hirten (13,7). Doch der Lauf der Welt ist nicht der Weg Abrahams: „Zwischen mir und dir soll es keinen Streit geben, wir sind doch Brüder“ (13,8). Nicht Krieg folgt hier auf Streit, son­dern großzügiges Teilen. Und erst dem auf diese Weise souverän Land verschenkenden Abraham wird die feierliche Landverheißung 13,14f. zuteil! Die Ankunft in Hebron 13,18 ist also Abschluß ei­nes denkwürdigen Weges; das Wohnen in Hebron Folge sowohl der friedlichen Trennung als auch der göttlichen Verhei­ßung. Von daher bleibt der Ortsname Hebron immer verbunden mit dieser Erzählung einer gewaltfreien Konfliktlösung. Wie beispielhaft dieser abraha­mitische Weg zu sehen ist, zeigt die wörtliche Aufnahme von 13,6 in 36,7: Jakob und Esau lösen ihren Konflikt in Abrahams Spuren. Und weil Esau mit Edom iden­tifiziert wird (36,1), steht Esau ebenso symbolisch für alle „Feinde“ Israels wie Jakob symbolisch für das spätere Israel steht.

Abraham der Fremdling und Gast

Abrahams berühmter Auszug in Gen 12,1f. führte nicht in menschenleeres, neues Land, denn „damals waren die Kanaaniter im Land“ (12,6b). Abrahams neue Hei­mat wird geradezu als „multikulturelles“ Völkergemisch gezeichnet (vgl. auch 13,7 und vor allem 21,22-34, wo Abraham – in souveräner Durchbrechung späterer Verbote (z.B. Dtn 7,2b) – Konflikte durch Verhandlung und Vertrag beilegt). Und wieder ist Hebron zen­tral mit diesem Mo­tiv verbunden: „Ich bin bei euch ein Fremdling und Beisasse, gebt mir eine Grabstätte bei euch zu eigen“, mit diesen Worten bittet Abraham in 23,4 die in Hebron wohnenden Heti­ter. Und auf diese Weise wird das Grundstück Machpela, gelegen bei Hebron, erworben von Efron, dem Sohne Zohars, dem Hetiter um 400 Silberstücke zu Abrahams Land. Mehr an Grund und Boden braucht Ab­raham nicht. Dort, mitten unter Hetitern, begräbt er Sara, dort bei Hebron stirbt Abraham, alt und lebenssatt (25,8).

Abraham der Vater versöhnter Verschiedenheit

Zwei Söhne hat Abraham; Ismael, den Sohn der ägyptischen (!) Magd und Isaak, den Sohn Saras. Wie­der bricht Streit aus (21,9+10), aber wieder heißt die Lösung nicht Tod und Vernichtung: „auch den Sohn der Magd will ich zu einem großen Volk machen, weil auch er dein Nachkomme ist“, so spricht jetzt JHWH in göttlicher Aufnahme des abrahamitischen Weges aus 13,8-9. Nur einmal noch wird nach der Trennung von einem gemeinsamen Handeln der beiden Söhne er­zählt. Nachdem Abraham bei Hebron gestorben ist, begraben ihn „seine Söhne Isaak und Ismael“ (25,9).

Ismael, hochgeschätzt im Islam (vgl. Sure 2/128, wo er zusammen mit Abraham die Kaaba errichtet) und Isaak, „der Prototyp des Durchschnittsjuden“ (Franz Rosenzweig), zusammen vereint in der Höhle Machpela bei Hebron im Gedenken an ihren Vater Abraham, mit diesem Bild verabschiedet die Genesis, das erste Buch des Penta­teuchs, den die Juden Tora „Weisung“ nennen, den „Freund Gottes“, wie Jes 41,8 Abraham nennt. Und die Araber haben mit gutem bibli­schem Grund Hebron in El Chalil, „der Freund“ umbenannt.

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Der Massenmord in Hebron am Grabe Abrahams in der Höhle Machpela wird erst vor dem Hin­tergrund dieser Geschichten und gerade des letzten Bildes in sei­ner Bedeutung verständlich. Solange der Gott Israels und der Gott der Christen, der Gott Abrahams, Isaaks, Is­maels und Jakobs ist, so lange können der Araber und der Muslim nur Brüder sein, denen brüder­licher Umgang gebührt. Dieses Massaker soll bewusst die abrahamiti­sche Dimension des Namens Hebron verdunkeln und ganz andere Hebron-Geschichten wachrufen: die blutigen Ge­schichten von Davids Aufstieg zur Macht in 2 Sam 3-4. Weil aber die Genesis das Tor zum Alten wie Neuen Testament darstellt, sind Ver­nichtungsanweisungen wie Dtn 7,2 und alle Kriegserzählungen vor dem Hintergrund der von den Vätern erzählten Handlungsweisen zu beurteilen und nicht umge­kehrt. Der Massenmord in Hebron erscheint wie ein direkter An­schlag auf diese theologische Logik der Schrift und auf das damit gegebene Gottesbild. Denn solange der Gott Is­raels und der Gott der Chri­sten, der Gott Abrahams, Isaaks, Is­maels und Jakobs ist, so lange gilt, dass Konflikte friedlich und gewaltfrei zu lösen sind und gelöst werden können.